Preisträger 2017

Dr. Sabine und Dr. Kurt Omland


Text der Laudatio:

„Nun gehe hin und lerne!“ Dieses 2000 Jahre alte Wort des jüdischen Lehrers Hillel ist das Jahresthema der bundesweiten „Woche der Brüderlichkeit“ 2017. Lehren und Lernen bestimmen in diesem Jahr auch die Verleihung der „Bernhard-Kleinhans-Plakette“: Es ist das Lehrerehepaar Dr. Sabine und Dr. Kurt Omland.
Der Verein „Woche der Brüderlichkeit Sendenhorst e. V.“ blickt mit dieser zwölften Verleihung erstmals über die Sendenhorster Grenzen hinaus. Er ehrt zwei Menschen, die sich seit 33 Jahren in unermüdlichem Einsatz die Erhaltung und Nutzung der Drensteinfurter Synagoge zur Lebensaufgabe gemacht haben. War ihnen ihr Lehrerberuf Berufung, so war das jahrzehntelang vergessene jüdische Lehrhaus für sie der Ort, an dem sie über Schule und Lehrerausbildungsseminar hinaus ihr pädagogisches Engagement entfalteten. Diese ehrenamtliche Arbeit, die durch verschiedene Aktionen und Ausstellungen Sendenhorster Schüler unter Leitung ihres Rektors Wilpert im Laufe der vergangenen Jahrzehnte begleitet wurde, möchte ich nun mit dieser Laudatio würdigen. Dem Vereinsvorstand danke ich für die ehrenvolle Aufnahme in die Reihe der Laudatoren.

Meine Gedanken gehen zurück zum Sommer 1972, als mir zum ersten Mal der Name Omland begegnete. Im münsterischen Bekanntenkreis erwähnte ich als angehender Pastor, dass ich in der vakanten Gemeinde Drensteinfurt eingesetzt werden sollte. Einer der Anwesenden begrüßte meine Entsendung mit dem Hinweis, in Drensteinfurt kenne er das Ehepaar Omland, das sich in Schule und Kirche über die Pflichten als evangelische Religionslehrer hinaus einsetze. Zu meiner Freude bestätigte sich dieser Hinweis: Sabine Omland wirkte in den wöchentlichen Schulgottesdiensten der Kardinal-von-Galen-Grundschule mit, Kurt Omland spielte in den Schulgottesdiensten für die Christ-König-Hauptschule die Orgel. Überdies war er als engagierter Presbyter eng in das aktive Gemeindeleben eingebunden. Einige Jahre später gründeten sie einen Gesprächskreis, der sich mit aktuellen Themen befasste. Als die Gesprächsabende für das Jahr 1984 geplant wurden, standen wieder die Fragen im Raum: „Worüber sollten wir sprechen? Woran könnten wir arbeiten?“ „Über die Synagoge!“ war damals mein spontaner Gedanke.

In meinen ersten Wochen in Drensteinfurt hatte mich einer meiner Erkundungsgänge durch die Kirchgasse geführt, die im Volksmund Judengasse genannt wurde. Und dort las ich die halbverwitterte Inschrift über der Synagogentür „Sä ha schaar…“„Dies ist die Tür zum Herrn, die Gerechten werden da hineingehen“ (Psalm 118,20) Die Existenz einer unzerstörten Synagoge überraschte mich. Gleichzeitig bedrückte mich die Frage nach den „Gerechten“, die einst durch diese Tür gegangen waren. Interessanterweise fehlte die Synagoge in der Liste der als denkmalwürdig vorgeschlagenen Drensteinfurter Gebäude. 1982 regte ich die Aufnahme der ehemaligen Synagoge in die Denkmalliste an und brachte die Sache in die Öffentlichkeit. Im Hin und Her der darauf folgenden politischen Diskussion wurde die Frage gestellt: „Wie kann die Synagoge nach einer Renovierung genutzt werden?“ In dieser Situation ergriffen Omlands die Initiative und entwickelten mit den Mitgliedern des Gesprächskreises ein umfassendes  Nutzungskonzept, das die politischen Entscheidungsträger der Stadt überzeugte. Begleitet vom Gesprächskreis, der sich 1990 in „Förderverein Alte Synagoge“ umbenannte, gelang nicht nur die Übernahme und die Renovierung der Synagoge durch die Stadt Drensteinfurt, sondern es wurde auch eine intensive Forschungsarbeit geleistet. Omlands nahmen Kontakte zu Zeitzeugen auf, knüpften Verbindungen zu den Nachkommen ausgewanderter Familien und besuchten die ehemalige Drensteinfurter Jüdin Herta Herschcowitsch geborene Salomon in Israel. Sie war die einzige Überlebende von zehn Drensteinfurter Juden, die am 11. Dezember 1941 in das Konzentrationslager Riga deportiert worden waren. Sabine und Kurt Omland veröffentlichten 1988 die brieflichen Aufzeichnungen Herta Herschcowitschs, in denen sie unter anderem die Einrichtung der Synagoge in einer Zeichnung darstellte. Erschütternd ist die Beschreibung ihres Leidensweges durch die Konzentrationslager und ihres dornigen Weges in der Nachkriegszeit bis zum Neuanfang in Israel. 1997 fasste Sabine Omland ihre mit Empathie und Sorgfalt geleistete Forschungsarbeit in einem Werk „Zur Geschichte der Juden in Drensteinfurt 1811–1941“ zusammen, wobei ihr Blick weit über Drensteinfurt hinausging. Sie bedachte auch Sendenhorst, wie sie es bei ihrem Vortrag am 9. November 2016 hier im Haus Siekmann deutlich machte.

Ihre Recherchen führten Sabine Omland auch zu dem Stuhlmacher und Sammler historischer Dokumente Josef Brüning, der ihr die in seiner Schulzeit 1933 bis 1943 gesammelten Hefte der vom nationalsozialistischen Lehrerbund herausgegebenen Schülerzeitschrift „Hilf Mit!“ überließ. Das hat sie zum Anlass genommen, ihre Dissertation zu verfassen, in der sie die propagandistische Einflussnahme auf Millionen von Schülern aller Altersstufen umfassend analysiert. Sabine Omland entlarvt in ihrer Analyse eine Pädagogik, die die Ideologie des Nationalsozialismus Kindern und Jugendlichen schleichend aber zielgerichtet einflößte. Wer diese Dissertation liest, bekommt Antworten auf die Fragen, warum der Nationalsozialismus sein Gedankengut soweit verbreiten konnte und warum dies Gedankengut immer noch im Untergrund schlummert.

Als der „Förderverein Alte Synagoge“ 2015 mit einer Ausstellung seines fünfundzwanzigjährigen Bestehens gedachte, konnte man an vielen Berichten und Bildern ablesen, welch breite Palette an Vorträgen, Konzerten, Ausstellungen und weiteren Veranstaltungen der Verein, allen voran jedoch Sabine und Kurt Omland, der Öffentlichkeit geboten haben. Ihre ehrenamtliche Arbeit zielt auf eine Zukunft, in der Vorurteile gegenüber Menschen anderen Glaubens, anderer Meinung, anderer Herkunft und anderer Nationalität überwunden werden. Die Synagoge in Drensteinfurt ist dafür ein Lernort geworden: Schüler reagieren betroffen, wenn sie vor der Erinnerungstafel stehen und lesen, dass unter den Ermordeten auch Kinder und junge Menschen ihres Alters waren. Sie lernen, welche Folgen Diffamierungen und Ausgrenzungen haben können. Doch auch Menschen, die zu der Generation gehören, die zu Rassenhass und Menschenverachtung durch den Nationalsozialismus verführt wurde, haben an diesem Erinnerungsort gelernt, Trauer zu empfinden. Als vor einiger Zeit eine ehemalige Schulklasse des Jahrgangs 1928/1929 anlässlich ihres Klassentreffens die Synagoge besuchte, sah ich Tränen in den Augen der über Achtzigjährigen, die ihrer mit sechzehn Jahren ermordeten Mitschülerin Fanny Irma Salomon gedachten. Aus dem Denkmal Synagoge ist ein zukunftsweisendes Erinnerungsmal geworden. Das Ehepaar Omland hat mit seinem ehrenamtlichen Lebenswerk an der Gestaltung dieser Zukunftshoffnung mitgewirkt.

(Pastor Walter Gröne)


Arbeitskreis Woche der Brüderlichkeit in Sendenhorst
Sendenhorst, am 5. März 2017

Hier können Sie den Text der Dankesworte von Sabine Omland nachlesen.