Preisträger 2023

Die Sendenhorster Bürgerschaft, die sich spontan und tatkräftig mit der Bereitstellung von Wohnraum und mit der Hilfe in Alltagsfragen für die ukrainischen Flüchtlinge engagiert hat

Text der Laudatio:

Seit 2006 verleiht der Arbeitskreis „Woche der Brüderlichkeit Sendenhorst“ jährlich die Bernhard-Kleinhans-Plakette. Damit wird beispielhaftes bürgerschaftliches Engagement für Versöhnung, Toleranz und friedliches Miteinander ausgezeichnet.
In den vergangenen Jahren wurde die Bernhard-Kleinhans-Plakette meistens an Gruppen, Initiativen oder Vereine verliehen, in diesem Jahr ist es anders.
Vieles ist anders geworden, das Neue setzt sich seit ein paar Jahren mit voller Wucht durch. „Multiple Krisen“ nennen wir die Reihe, angefangen vom nicht mehr zu verleug-nenden, spürbaren Klimawandel bis zur erlebten Pandemie. Und als wäre das nicht alles schon genug, bricht am 24. Februar 2022 ein Krieg in Europa aus, der bereits einige Jah-re zuvor auf der Krim begonnen hat, aber uns vermeintlich noch nicht intensiv berührte, sondern in der entfernten Welt der internationalen Politik verharrte. Ein Irrtum, wie sich gezeigt hat.
Mit dem Überfall auf die Ukraine durch Putin und die russische Armee ist der Krieg wie-der vollends da. Dabei waren wir - jedenfalls in Mitteleuropa – im Glauben, er sei hier quasi ausgestorben. Wir und die anderen europäischen Nationen meinten, unsere Lekti-on der Geschichte gelernt zu haben - wir und die anderen Nationen, die unter dem Weltenbrand der Nazis Millionenfache Tote zählten, millionenfach auch in der heutigen Ukraine.
Vieles kommt zusammen und deshalb spricht unser Bundeskanzler zu Recht von einer Zeitenwende – ein Wort, das mittlerweile Eingang in andere europäische Sprachen gefunden hat. 
Wir spüren die Not, Sorge und Trauer um die Toten des Krieges durch die hier zu uns gekommenen 1,1 Millionen Menschen aus der Ukraine, die geflüchtet sind - vor Bomben und Flugzeugen, vor Waffen und Gewalt, Menschen, die vielleicht den Ehemann, den Freund, Vater, Mutter, Großeltern, Frauen, Kinder, Verwandte verloren, aber ihr eigenes Leben noch gerettet haben, aber was ist das für ein Leben? Darüber zu reden ist nicht einfach. Die Schicksale sind vielfältig, die Betroffenen oft traumatisiert und nur sehr selten ohne Trauer. 
Das gilt umso mehr, wenn die Woche der Brüderlichkeit ein Gedenken im Zeichen christlich-jüdischer Versöhnung ist, das auch unsere blutige Vergangenheit in der Ukraine wieder ins Gedächtnis ruft, die die Nazis verbrochen haben. 6 Millionen Juden haben die Nationalsozialisten insgesamt ermordet. Etwa 1,5 Millionen ukrainische Juden fielen dem Holocaust zum Opfer.
Ich bin sehr froh und dankbar dafür, dass sich die Verantwortlichen hier in Sendenhorst entschieden haben, die Bernhard-Kleinhans-Plakette 2023 zu vergeben, in dem der Preis alle jene hervorhebt, die in dieser Situation vor allem eins gezeigt haben und weiter zeigen: Menschlichkeit, Solidarität, praktische Nächstenliebe durch Bereitstellung von Wohnraum und Alltagshilfe. Denn besser ist das Motto der diesjährigen Woche der Brüderlichkeit kaum zu erfüllen: „Öffnet Tore der Gerechtigkeit“.
In dieser Kleinstadt, Sendenhorst, stieg die Zahl der Geflüchteten nach Ausbruch des Krieges in kurzer Zeit um 373 Menschen, 319 unter ihnen kamen aus der Ukraine.
Und statt Mauern zu errichten, wurden die Geflüchteten mit dem Willen zu helfen und der Bereitschaft zur Aufnahme empfangen. Es wurde buchstäblich das Tor der Gerechtigkeit geöffnet, denn zahlreiche Sendenhorsterinnen und Sendenhorster stellten den Neuankömmlingen ihren privaten Wohnraum zur Verfügung.
Exemplarisch für die Unterstützung mag die Demonstration auf dem Marktplatz am 6. März 2022 genannt werden: Nicht gegen die Zuwanderung zu protestieren, sondern für Hilfe und Unterstützung zu werben, war das Ziel. Global denken und lokal handeln – das gilt nicht nur für die Klimapolitik.
Die Hilfe war nicht begrenzt auf diejenigen, die schon aus gesetzlicher Verpflichtung helfen müssen wie die Stadtverwaltung oder jene, die sich im Verein dauerhaft in kleiner Zahl dankenswert und mit viel freiwilligem Einsatz engagieren – vielmehr ging die Hilfe weit in die Bevölkerung hinein. Und auch bei den gerade von mir genannten Ansprechpartnern der Stadt war das Engagement kein Pflichtteil, sondern mit großem persönlichem Einsatz, Mitgefühl und Engagement verbunden. 
Damit hat die Stadt selbst einen wichtigen Teil zu einer guten Unterbringung der Geflüchteten geleistet, so dass die Wersehalle in Albersloh nur insgesamt neun Wochen konkret durch Geflüchtete belegt werden musste. 
Die Mitarbeiterinnen der Stadt haben mir von der Hilfsbereitschaft der aufnehmenden Familien berichtet, natürlich auch, weil die Stadt gleichsam als Partner zur Verfügung stand: Die Unterkunft war Wohnraum, also häufig besser als in Notunterkünften, die Hilfen erstreckten sich auf Unterstützung bei Arztbesuchen, Behördengängen, notwendigen Einkäufen oder auch Übersetzungshilfen. Es ging darum, die Kinder zur Kita zu bringen, um Aufnahme im Sportverein, Unterstützung bei Impfungen, also um ganz praktische Hilfen im Alltag.
Hier sollen nicht einzelne Bürgerinnen und Bürger genannt werden, weil sehr zurecht von der Jury entschieden wurde, die Leistung der Bürgerschaft insgesamt vor allem bei der Wohnraumbeschaffung und der Bewältigung des Alltags, den Einsatz dieser vielen mit der Verleihung der Bernhard-Kleinhans-Plakette zu würdigen, ein Einsatz, der damit das Gemeinwesen stärkt, uns alle.
Es ist die immer wieder aufs Neue geforderte Bereitschaft der Menschen, das zu zeigen, was Menschen gut können, wenn sie es wollen: Menschlichkeit – Mitmenschlichkeit. 
Sie gilt dann aber nicht nur für Menschen aus der Ukraine: Auch die über 50 Geflüchteten aus Syrien, aus Afghanistan, aus Georgien oder Aserbaidschan, aus Pakistan, China oder dem Iran, um nur einige Länder zu nennen, stehen unter dem Schutz unseres Grundgesetzes, wenn es um politisches Asyl oder ihre Menschenrechte geht, auch sie brauchen unser Engagement – nicht unser Ressentiment.
Die Zahl der Geflüchteten aus der Ukraine hat sich mittlerweile halbiert, einige sind zurück in ihr Land, andere haben hier Arbeit gefunden oder sind zu Bekannten in eine andere Stadt gezogen. 
Es gibt einen zweiten Teil des Mottos der Woche der Brüderlichkeit: Freiheit – Macht - Verantwortung, diese zentralen Begriffe gilt es im Hinblick auf gemeinsames Handeln gegen Antisemitismus und Rassismus zu deuten. Aktuelle wie historische Anknüpfungspunkte gibt es zuhauf, womit ich wieder bei den eingangs genannten multiplen Krisen unserer Gesellschaft, ja aller gleichzeitigen Gesellschaften bin. 
Weltweit scheinen liberale Demokratien durch das Erstarken rechtsextremer totalitärer Bewegungen und deren Desinformationskampagnen gefährdet wie nie.
Es geht um Freiheit statt Freiheitsdemagogie; es geht um Macht, die demokratisch legitimiert sein muss, es geht um Verantwortung für unser Tun – auch für unser Unterlassen. 
Heute wird das Tun, die Bereitstellung von Wohnraum, Hilfe in Alltagsfragen und Solidarität mit den Geflüchteten durch und von Menschen in der Stadt Sendenhorst geehrt, nach dem ebenfalls biblischen Motto: „Suchet der Stadt Bestes“.
Stellvertretend wird die von Basilius Kleinhans als Unikat gestaltete Bernhard-Kleinhans-Plakette 2023 der Bürgermeisterin Kathrin Reuscher übergeben, auf das sie einen Ehrenplatz im Rathaus, dem Haus der Bürgerinnen und Bürger, bekommt. 

(Bernhard Daldrup MdB)

Arbeitskreis Woche der Brüderlichkeit in Sendenhorst
Sendenhorst, am 5. März 2023