Preisträger 2014

Alle Jugendlichen, die nach der Schule ein Jahr ins Ausland gehen
und sich für die Gemeinschaft engagieren

Text der Laudatio

Die diesjährige Woche der Brüderlichkeit hat eine Frage als Motto: „Was kann der Einzelne schon tun?“ Ist das eine rhetorische Frage oder eine wirkliche Frage?

Die Erfahrung, die aus der Frage spricht, kennt jeder, der heute hier ist, aus dem eigenen Leben. Tag für Tag werden wir in der weiten Welt und auch oft genug im persönlichen Umfeld mit Problemen und Herausforderungen konfrontiert, bei denen wir unsere Grenzen und manchmal auch die eigene Ohnmacht erleben.

Was kann der Einzelne schon tun?

Wenn auf dem Maidanplatz Barrikaden brennen und man besorgt die Frage stellt, ob die Spannung sich in einem großen Blutbad entlädt, dann kann man solch ein Anliegen als glaubender Mensch in sein persönliches Gebet mit aufnehmen, aber wirklich etwas tun????

Wenn uns die Bilder von den Flüchtlingslagern rund um Syrien erreichen, dann kann man eine Hilfsorganisation finanziell bei ihrer Arbeit unterstützen, aber wirklich etwas tun???

Wenn im Internet eingeladen wird, an einer Petition teilzunehmen, die den belgischen König bittet, dass er das nun auch auf Kinder hin erweiterte Gesetz zur aktiven Sterbehilfe nicht unterzeichnet, dann kann man durch seinen Namen ein Zeichen setzen, aber wirklich etwas tun???
Was kann der Einzelne schon tun? Es gibt viele Situationen, in denen wir Grenzen und Ohnmacht erfahren angesichts der Not und der Probleme in unserer Zeit.

Dennoch kennt jeder von uns auch die andere Seite. Jeder von uns kann aus dem eigenen Leben erzählen von Begegnungen und besonderen Momenten, in denen das Wort, das Zeichen oder einfach das Dasein eines anderen Menschen ganz wichtig war. „Wenn ich in diesem Moment diesen Menschen nicht getroffen hätte, hätte mein Leben vielleicht eine ganz andere Richtung genommen…“ Einzelne können wichtig, sehr wichtig sein, weil jeder von uns von solchen Spuren lebt, die andere Menschen bei uns hinterlassen haben. Und umgekehrt hinterlässt jeder von uns auch Spuren im Leben anderer Menschen. Auch die können für einen Menschen sehr wichtig sein. Manchmal sogar viel wichtiger als man selbst glaubt.

Der Einzelne kann etwas tun! Das ist auch die Grundüberzeugung, die in der jüdischen und christlichen Tradition des biblischen Glaubens bezeugt wird.
Die erste historisch fassbare Gestalt in der Bibel ist ein Einzelner, der einen Aufbruch wagt, zu dem Gott ihn herausgerufen hat. Mit seinem Aufbruch wird Abraham zum gemeinsamen Ur-Vater der drei großen monotheistischen Religionen. Als Mose am brennenden Dornbusch herausgefordert wird, sein Volk in die Freiheit zu führen, wird ihm zunächst Angst und Bange und er stellt die Frage, wie er zum Pharao gehen und den Auftrag Gottes umsetzen soll. Jeder der Propheten ist ein Einzelner, der einen Aufbruch wagt, wenn er mahnend, warnend, mal drohend und dann wieder ermutigend zum Bundesvolk Israel spricht.

Jesus von Nazareth nimmt immer wieder Einzelne in den Blick, bei denen er die Zusage, dass Gottes Herrschaft mitten in unserer Welt beginnt, sichtbar macht. Wenn ich mit Grundschülern in der Fastenzeit die Bilder des Kreuzwegs anschaue, dann versuche ich zu erklären: da gibt es nacheinander gleich drei Stationen, an denen Menschen Jesus auf dem Kreuzweg trösten und stärken: das Dasein und der Blick seiner Mutter, Simon von Cyrene, der - vielleicht sogar gezwungenermaßen - das Kreuz mit trägt und Veronika, die nicht mehr tun kann, als in der aufgewühlten Menge ein Schweißtuch zu reichen. Sie stehen für Menschen, die dort etwas tun, die aber die Gesamtsituation nicht ändern können.

Was kann der Einzelne schon tun? --- Die ganze Welt verwandeln --- wohl kaum. Und dennoch gibt es Menschen, die in ganz konkreten Situationen einen Aufbruch wagen und mit ihren Möglichkeiten etwas tun.

Mit der Bernhard-Kleinhans-Plakette werden seit Jahren Menschen geehrt, die sich persönlich einbringen, um an einer Stelle, die ihnen wichtig geworden ist, etwas zu tun.

In diesem Jahr geht der Fokus hin zu jungen Leuten aus Sendenhorst und Albersloh, die in den vergangenen Jahren aufgebrochen sind, um ein Jahr ihres Lebens in einem fremden Land in den Dienst anderer Menschen zu stellen. Sie sind aufgebrochen nach Indien und Mexiko, nach Israel und nach Sierra Leone, nach Kenia, Argentinien und nach Südafrika. Sie sind aufgebrochen, nicht als Touristen und auch nicht als Globetrotter, sondern als Menschen, die bereit sind, über einen Verein, eine Ordensgemeinschaft oder eine Organisation einen Dienst für andere Menschen zu übernehmen.

Einige dieser Aufbrüche habe ich mit bekommen. Ich habe erfahren von den Schulungen, die für den Einsatz in einer fremden Kultur vorbereiten wollen. Die jungen Leute, die diesen Weg gegangen sind, bekamen für ihren Dienst kein Geld. Im Gegenteil: Sie waren aufgefordert, dass sie von ihren Ideen und Projekten berichten und einen Sponsorenkreis aufbauen. Nach einer entsprechenden Vorbereitung sind sie aufgebrochen, um in einem ganz konkreten Projekt Menschen zu dienen. Sie mussten sich einem fremden Land, fremden Sprachen, Kulturen und Lebensgewohnheiten stellen. Manches, was sie erlebt haben, war auf den ersten Blick erschreckend. Doch im Sich-Einlassen auf die neue Umgebung passierte in der Regel auch etwas mit diesen jungen Menschen, die hier aus dem Münsterland in die verschiedenen Aufgaben kamen. Konkrete Projekte wurden umgesetzt; andere stießen an ihre Grenzen. Freundschaften sind gewachsen, die über Jahre hinweg begleiten. Bei fast allen hat das Jahr zu einer neuen Sicht ihres Lebens geführt. Man merkte: „Die alten Denkmuster und Schablonen, mit denen ich auf die Probleme im Heiligen Land, in Afrika, Asien oder Südamerika geblickt habe, passen nicht immer. Das Leben hat viel mehr Facetten als ich das bisher geahnt habe.“

Bei vielen habe ich mit bekommen, dass das Land und die Menschen, in dem die jungen Leute ein Jahr lang gelebt und gearbeitet haben, sie nicht mehr los ließ. Einige haben sich beruflich in eine Richtung orientiert, die ihre Wurzeln im FSJ / in den Erfahrungen als MissionarIn auf Zeit hatte. Andere fingen nach der Rückkehr an, neben dem Studium zu jobben, um Geld für einen weiteren Besuch anzusparen. „Das Jahr hat mich verändert“, ich glaube, dass jeder, der ein solches Freiwilliges Soziales Jahr gemacht hat, das am Ende sagen kann. „Über Mail und Skype konnte ich zwar die Freundschaften nach Hause pflegen, aber nach der Rückkehr habe ich doch gemerkt: Das, was ich erlebt habe, können sich die Menschen hier nicht wirklich vorstellen.“
Was kann der Einzelne schon tun?

Mit der diesjährigen Bernhard-Kleinhans-Plakette wird das Engagement von jungen Menschen geehrt, die nicht resignieren angesichts von vielen Problemen und Herausforderungen unserer Zeit. Wir ehren Menschen, die ein Jahr ihres eigenen Lebens ganz konkret in den Dienst an anderen Menschen eingebracht haben. Wir ehren junge Menschen, die durch ihren Einsatz Brücken gebaut haben und die durch ihr Jahr an manchen Stellen wichtige Spuren im Leben anderer hinterlassen haben. Wir ehren Menschen, die aus diesem Jahr zurückgekehrt sind mit Spuren, die sie gesammelt haben und die sie vermutlich ihr Leben lang begleiten.

Ich bewundere den Mut dieser jungen Leute und bin froh, dass es fast in jedem Jahr ein oder zwei junge Leute aus Sendenhorst und Albersloh gab und gibt, die solch einen Schritt gewagt haben und wagen.

(Wilhelm Buddenkotte)


Arbeitskreis Woche der Brüderlichkeit
Sendenhorst, am 9. März 2014